Freizeit ist freie Zeit?

22.09.2017

Dieses Wochenende startet vielerorts in der Schweiz die Herbstferienzeit. Ferien, endlich! Eine herrliche freie Zeit, die uns für einen bestimmten Zeitraum zur freien Verfügung steht. Endlich haben wir Zeit, dieses zu tun oder jenem nachzugehen, für das wir sonst im Alltag kaum oder wenig Zeit zu finden glauben. Oder wir packen unseren Koffer voll mit Dingen, die wir im Urlaub am Strand oder in den Bergen brauchen, ein Buch, das wir schon lange mal lesen wollten, den brandneuen Bikini oder die hippen Schuhe, oder wir nehmen viellleicht gar etwas liegengebliebene Arbeit mit, man weiss ja nie, vielleicht findet sich dafür etwas Zeit, so zwischendurch mal.

Freie Zeit, die wir nach unserem Belieben und eigenen Plänen gestalten können, vermittelt uns den gefühlsmässigen Eindruck von Freiheit. Über die Einteilung der Tages- und Nachtzeit selbst bestimmen zu können, wann und mit wem und wo, dies scheint die Art Luxus zu sein, die wir nach materiellem Luxus am meisten zu schätzen wissen. Angesichts der mit Terminen prall gefüllten Agenden ist "Luxus" in der Tat das stimmige Wort für Tage, die wir mit nichts anderem als mit dem füllen können, wonach es uns gelüstet. Der Blick in die auf einmal leeren Blätter in der Agenda zeigt: auf einmal gibt es nichts zu tun, ausser die Füsse hochzulegen und durchzuatmen.

"Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern, dass er nicht tun muss, was er nicht will.", so zitierte Jean-Jacques Rousseau vor über 200 Jahren. Und damit spricht er etwas Wesentliches des menschlichen Wesens und Verhaltens an, nämlich den angeborenen Willen, etwas zu tun, und die angeborene Sehnsucht nach Freiheit. "Freiheit" bedeutet wohl für jeden Menschen etwas anderes, für mich bedeutet das Sehnen nach Freiraum irgendwie auch den Wunsch, das Leben in all seiner Fülle zu spüren, dorthin zu gehen, wo es einen hinzieht, und das zu tun, wonach sich mein Herz sehnt. Erfüllt sich das Sehnen, zumindest für eine gewisse Zeit, fühlt es sich wie eine Art Erlösung an, ein Loslösen von Erschwernissen, ein Freimachen von Belastungen.

Wenn wir von Menschen in unserem Umfeld erfahren, wie sie nach Jahren der Fremdbestimmung nun ein freies, selbstbestimmtes Leben führen und sich von bindenden, ebenso selbst gewählten Verpflichtungen losgesagt haben, fragen wir uns vielleicht, warum gelingt uns das selbst nicht? Warum können wir unseren Brot-Job nicht einfach hinschmeissen, und ähnlich wie in dem Lottowerbespot die Nachricht "Chef, ich bin dann mal weg" auf das Auto des Werkstattchefs nageln? Was für ein Gefühl, endlich frei! Und wir freuen uns, dem Ungeliebten, Einengenden entrinnen zu können. Die Werbebotschaft vermittelt: Wenn du Geld hast, kannst du machen, was du willst. "Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt", so ein Allerweltszitat. Was wiederum nichts anderes bedeutet, als dass Bedürfnisse, nach deren Befriedigung wir uns gesehnt haben, endlich Ruhe geben, da wir ihnen endlich einen Platz in unserem Leben verschaffen.

Im Wort "Bedürfnis" ist das Verb "dürfen" enthalten. Etwas, was wir unbedingt brauchen oder uns wünschen, darf nun auf einmal gelebt werden, es DARF sein. Was wir dürfen, entspricht im Grunde genommen nur dem, was wir uns selbst zugestehen und uns erlauben. Den alljährlichen Urlaub auf der Insel erlauben wir uns, auch wenn wir fast das ganze Jahr über dafür eisern sparen. Dieses Sparen ist dabei kein Müssen mehr, weil wir es bewusst wollen und Ja dazu sagen. Etwas zu tun oder nicht zu tun, ein Bedürfnis zu leben oder eben nicht, hat mit unserer Sicht zu tun auf das, was wir als MÜSSEN oder als WOLLEN werten. Wie unsere Sicht auf den Job, der in uns allmorgendlich den Gedanken wachruft "ich will da eigentlich gar nicht mehr hin" oder das Zusammensein mit Menschen, mit denen wir eigentlich nichts mehr anfangen können. Was unsere heutige Sicht auf diese mehr oder weniger ungeliebten, belastenden Situationen ausmacht, ist Resultat einer mit unserem ganzen System durchgeführten Wertung und Bewertung. Was erscheint uns wertvoller, den sicheren Lohn Ende des Monats zu erhalten und unsere Rechnungen zahlen zu können, oder das unsichere, spontane Leben mit System "von der Hand in den Mund"?
Schön gesprochen, mag da der eine oder die andere sagen, aber wie verhält sich das, wenn ich eigentlich gar keine Wahl habe, ich etwas aus dem einen oder anderen Grunde tun muss? Ohne Geld kein Leben, könnte die Essenz aus diesem Gedankengang lauten. WENN ich mein eigener Herr und Meister wäre, DANN könnte ich... WENN ich die Möglichkeit hätte, DANN würde ich.... WENN ich das Geld dafür hätte, DANN hätte ich.... WENN-DANN ist der reine Ausdruck von Abhängigkeit und von Bedingungen. Warum bin ich oder was macht mich abhängig von einer Situation? Was bedingt und bestimmt so mein Leben, dass ich mich nicht frei genug fühle?

"Freiheit ist die, die ich meine", dies ist mein persönliches Zitat aus einer Studie zum Verhältnis des Menschen zum epischen Wert Freiheit. Freiheit ist genau das, wovon ich denke, dass es mir gut tut. Freiheit ist mein persönliches Erleben einer sich vermeintlich von selbst erfüllenden Sehnsucht. Freiheit ist die freie Enscheidung zu tun oder zu lassen, was man als wichtig und richtig für sich selbst wertet. Freiheit kann mitunter ebenso einengend wirken wie Gefangensein. Und das Empfinden von Gefangensein kann ebenso befreiend wirken, wenn sich ein Bedürfnis erfüllt hat, dies zeigt mein Besuch in einem kantonalen Gefängnis im Rahmen besagter Studie. Freiheit ist manchmal das Ende einer Komfortzone und steht am Beginn eines wilden, unberrechenbaren und noch unentdeckten Neulands.

Ferienzeit ist Freizeit, in der wir uns frei fühlen. Und was ist mit der übrigen Zeit?

Mit diesen Gedanken wünsche ich allen, die nun freie Zeit geniessen dürfen, von Herzen wunderbare, unbeschwerte freie Ferientage!